Veranstaltung: | Bundesjugendwerkskonferenz 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 7.b. Anträge |
Status: | Beschluss |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 86, Nein: 0, Enthaltungen: 0 |
Beschlossen am: | 12.05.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Grundsatzpapier - Eine gute Kooperation zwischen Jugendwerk und Schule in der Ganztagsbetreuung
Antragstext in einfacher Sprache
Für eine gute Zusammenarbeit zwischen Jugendwerk und Schule im Ganztag
beschließt die Bundesjugendwerkskonferenz folgende Grundlagen:
Der Ganztag hat einen großen Einfluss auf das Aufwachsen junger Menschen. Mit
der Einführung des Gesetzes zur ganztägigen Förderung von Kindern im
Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) kommen neue Herausforderungen
auf das Bildungssystem zu. Gleichzeitig bietet das Gesetz aber auch Chancen für
die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Der Rechtsanspruch ist ein wichtiger
Schritt zu mehr Chancengerechtigkeit und kann unter bestimmten Voraussetzungen
zum Kampf gegen Kinderarmut beitragen.
Träger der außerschulischen Bildung sind bisher sehr unterschiedlich in die
Entwicklung und Ausgestaltung von Ganztag involviert. Bisher war der Ganztag vor
allem schulisch und oft durch Dienstleistungsverhältnisse geprägt. Die
Perspektiven der Kinder und Jugendlichen und die gleichwertige Anerkennung
außerschulischer Bildungsräume spielten bisher eher eine geringe Rolle.
Um das zu ändern, formuliert das Jugendwerk der AWO allgemeine Grundsätze für
eine gute Kooperation von Jugendwerken mit Schulen in der Ganztagsbetreuung:
- Die Rechte der Kinder nach der UN-Kinderrechtskonvention sind
sichergestellt.
- Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen stehen im Mittelpunkt.
- Die Kinder und Jugendlichen nehmen freiwillig teil.
- Die Kooperation zwischen Schule und Jugendwerk findet auf Augenhöhe statt.
- Die Kinder und Jugendlichen können ihre eigenen relevanten Themen
einbringen und entscheiden mit.
- Bildung beziehungsweise die Bildungsangebote finden auch außerhalb der
Schule statt.
Ganztag als Raum für mehr Teilhabe- und Chancengerechtigkeit
Der Fokus bei der Ausgestaltung des offenen Ganztages liegt auf den jungen
Menschen. Der Ganztag muss als kindgerechter Bildungs- und Erfahrungsraum
gedacht und umgesetzt werden. In diesem Raum werden Kinder und Jugendliche nicht
nur betreut und verwahrt. Er eröffnet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit,
ihre Interessen und Persönlichkeiten zu entwickeln. Außerdem können sie dort
ihre Freizeit gestalten, sich bewegen, sich erholen und mit Freund*innen
austauschen. Der Ganztag muss ein qualitativ hochwertiges und vielfältiges
Angebot sein. Er muss Teilhabegerechtigkeit unterstützen und einen Beitrag zu
gleichen Bildungschancen leisten. Dabei ist zu beachten, dass Kinder
mitbestimmen und mitgestalten können. Es muss sichergestellt sein, dass Kinder
und Jugendliche ihre Lebenswelt einbringen können. Ziel muss sein, die Teilhabe
an Bildung von familiären und sozialen Hintergründen loszulösen und Demokratie
erfahrbar und erlebbar zu machen.
Ganztag als partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Jugendwerk und Schule
Schulische und außerschulische Bildung müssen ergänzende und unverzichtbare
Bestandteile eines ganzheitlichen Bildungskonzepts sein. Das bedeutet, dass
zwischen Jugendwerk und Schule eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf
Augenhöhe stattfindet. Fachliche Kompetenzen und Zuständigkeiten werden dabei
beidseitig und gleichermaßen anerkannt. Das beinhaltet gegenseitige
Wertschätzung, eine intensive Kommunikation, eine gemeinsame Konzeptentwicklung
und eine regelmäßig stattfindende gemeinsame Prüfung eines solchen Konzepts. Die
Grundlage bei der Zusammenarbeit mit Schule müssen stets unser Selbstverständnis
und unsere Werte als Jugendverband sein. Wichtige Elemente der außerschulischen
Bildung wie selbstorganisierte Freiräume, gelebte Beteiligung, Freiwilligkeit
und eine inklusive Orientierung dürfen nicht verloren gehen. Kinder und
Jugendliche brauchen diese Erfahrungen, um ihre eigenen Interessen und ihre
Persönlichkeiten zu entwickeln. Ziel ist es, bei der Umsetzung des Ganztags eine
gemeinsame Verantwortung zu tragen, um eine gute und umfassende Bildung für
junge Menschen zu erreichen.
Ganztag als langfristige Bildungsstruktur
Für die Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen und vielfältigen
Bildungsangebots braucht es eine dauerhafte und ausreichende finanzielle
Absicherung der außerschulischen Strukturen. Ganztag ist kein Projekt und muss
als langfristige Struktur gedacht, finanziert und umgesetzt werden. Um allen
jungen Menschen gleiche Zugänge und gleiche Teilhabechancen zu ermöglichen,
müssen Angebote im Ganztag von Elternbeiträgen befreit und dennoch auskömmlich
durch öffentliche Gelder finanziert werden.
Zu einer dauerhaften Absicherung des Ganztags zählt ebenso die Formulierung der
gemeinsamen Erwartungen und Ziele zwischen Jugendwerk und Schule. Wichtige
Aspekte sind hier beispielsweise organisatorische Rahmenbedingungen,
Aufgabenverteilungen, Zuständigkeiten, Ansprechpartner*innen und
Kommunikationsformen und -wege.
Begründung
Insgesamt 73 Prozent der Eltern mit Kindern im Grundschulalter hatten 2022 einen
Betreuungsbedarf für ihr Kind, doch nur 55 Prozent der Grundschulkinder konnten
tatsächlich ein Hort- oder Ganztagsschulangebot besuchen. Somit besteht zwischen
Betreuungsbedarf und -quote deutschlandweit eine Lücke von 18 Prozent. Das
heißt, es werden mehr Plätze in schulischen Ganztags- und Hortangeboten aber
auch in weiteren Betreuungsangeboten für Grundschulkinder benötigt.
Mit dem „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“
(Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) soll diese Lücke geschlossen und die dafür
benötigte Infrastruktur ausgebaut werden. Das Gesetz besagt, dass ab August 2026
zunächst alle Grundschulkinder ab der ersten Klasse einen Anspruch darauf haben,
ganztägig gefördert zu werden. Bis August 2029 hat jedes Grundschulkind (erste
bis vierte Klasse) einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Der Anspruch gilt in
der Schulzeit nur an Werktagen im Umfang von 8 Stunden täglich. Der Anspruch
gilt auch in den Ferien (bis auf maximal vier Wochen). Das Betreuungsangebot
soll dabei möglichst vielfältig sein, den individuellen Bedürfnissen entsprechen
und freiwillig sein. Horte als auch offene und gebundene Ganztagsschulen können
diesen Anspruch erfüllen.
Warum betrifft das Thema auch das Jugendwerk?
Die offene Ganztagsschule ist eine Betreuungsform, mit der die Grundschule zu
einem ganztägigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsort wird. Das
Ganztagsförderungsgesetz unterstreicht, dass Bildung auch außerhalb von
Schulunterricht stattfindet. Kinder- und Jugendverbände sind wichtige Akteure
dieser außerschulischen Bildungsarbeit. Hier lernen Kinder Mit- und
Selbstbestimmung, Beteiligung, Teilhabe und erlebbare Demokratie kennen. Der
Offene Ganztag bietet dem Jugendwerk die Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen
außerschulische Bildung zu ermöglichen. Außerdem sollen sie zum sozialen
Engagement angeregt und zur Selbstbestimmung und zum kritischen Denken befähigt
werden.
Mit dem Ganztagsförderungsgesetz müssen bis zum Jahr 2030 mindestens 600.000
Ganztagsplätze zusätzlich geschaffen werden. Das ist eine Herausforderung
aufgrund der fehlenden Fachkräfte. Vor diesem Hintergrund werden Kommunen und
Schulen zunehmend auf Kooperationen mit freien Träger*innen und externen
Kooperationspartner*innen angewiesen sein, zu denen auch das Jugendwerk zählen
kann.
Das Jugendwerk der AWO setzt sich für die Abschaffung der Kinderarmut ein. Der
offene Ganztag kann auf Grundlage der oben genannten Bedingungen dazu beitragen,
Kinder aus armutsgefährdeten Verhältnissen zu lösen. Dafür braucht es aber einen
Qualitätsrahmen, der verbindliche Vorgaben schafft. Das Jugendwerk kann einen
solchen verbindlichen Qualitätsrahmen setzen.
Das Grundsatzpapier dient als Basis und als Orientierung für eine mögliche
Kooperation zwischen Jugendwerk und Schule. Die Bundesländer haben ihre eigenen
Ausführungsgesetze des Ganztagsförderungsgesetzes beschlossen oder werden diese
noch beschließen. Um darauf als bundesweit agierender Jugendverband flexibel
reagieren zu können, wurden in dem Grundsatzpapier nun Mindeststandards
formuliert. Diese müssen für eine gute Kooperation mit Schulen erfüllt sein und
weiterentwickelt werden.