A13NEU: Alternativangebote – Boykott Qatar 2022
Veranstaltung: | Bundesjugendwerkskonferenz 2022 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 7.c) Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | Landesjugendwerk der AWO Thüringen |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Weiterleiten an: Bundesjugendwerksvorstand |
Eingereicht: | 13.04.2022, 11:00 |
Kommentare
Jan Repnak:
Begründung Ablehnung Antrag A13:
Die Herrenfussballweltmeisterschaft in Qatar ist ein derzeit heiß diskutiertes Thema in den Medien. Es werden die verschiedensten Argumente hervorgebracht, die einen Boykott rechtfertigen sollen, auch der DFB wird aufgefordert nicht teilzunehmen. Daher ist die Intention und der Gedanke dieses Antrags für mich total schlüssig und wenig überraschend.
Dennoch habe ich einige Schwierigkeiten mit diesem Antrag, die ich jetzt ausführen werde:
„Die WM in Qatar ist ein dem Fussball unwürdiges Turnier, es werden so viele Gebote der sportlichen und politische Fairness verletzt […]“ (Z18 ff der Begründung)
Ist das Turnier dem Fußball wirklich unwürdig? Oder ist es nur das Spiegelbild der heutigen Fussballindustrie, die wir ja mindestens insoweit akzeptieren, dass wir gemeinsam mit der AWO beispielsweise Bundesligaspiele besuchen oder Zusammenarbeiten mit Fanprojekten anstreben? Und gehört die Frage ob eine WM dem Fussball unwürdig ist oder nicht auf die Bundeskonferenz des Jugendwerks der AWO? Hat das für uns irgendeine Relevanz?
Ab Zeile 45 wird auf die nicht exisitierende Fussballkultur in Qatar hingewiesen, dazu zweierlei Gedanken. Der Erste schließt an vorhin bereits gesagtes an, in welcher Art und Weise hat das irgendeine Relevanz für uns als Jugendwerk der AWO, das sich selbst auf der Website des Bundesjugendwerks wie folgt definiert: „Wir verstehen unsere Aufgabe als politische und pädagogische. Als politische Interessenvertretung macht das Jugendwerk die Lebenslagen, Interessen und Rechte von Kindern und Jugendlichen sichtbar und bringt sie kontinuierlich in politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse ein.“ Das Jugendwerk versteht sich also als Interessensvertretung von Kindern und Jugendlichen und macht sich für diese stark. Eine Bewertung einer Fussballkultur oder das Hochhalten von eventuellen gewachsenen Traditionen lese ich dort nicht heraus.
Zum Zweiten stellt sich mir doch die Frage welch exklusive Sicht einer eingeschworenen Fussballwelt dort Vater des Gedankens war. Ab wieviel Jahren aktiven Fussballlebens qualifiziert sich ein Land dafür Teil dieser Fußballkultur zu werden? Oder ist dieser Kulturkreis bereits geschlossen und die Vergabe dieses Turniers darf nur innerhalb dieses Kreises erfolgen. Und die nächste Frage: Sind Kanada, die USA und Mexiko Teil dieser gewachsenen Gruppe? Existiert dort eine ausreichend große Fussballkultur? Dort findet schließlich die nächste WM statt.
Der dritte und für mich wohl stärkste Punkt dabei ist jedoch die Frage wieso dieses Problem, das ja nun auch seit ca. 10 Jahren, seit die WM Vergabe stattfand, bekannt ist nicht thematisiert wurde? Zeit genug ist in den letzten Jahren und bei den letzten Konferenzen dafür gewesen.
Über die Korruption und welche heimlichen Gelder und gekauften Abstimmungen bei unserem Sommermärchen eine Rolle spielten lasse ich mich hier nicht aus und frage auch gar nicht wieso das bei einer WM in Qatar erwähnenswert, hier jedoch vernachlässigbar war.
Meine wirklichen Probleme mit diesem Antrag sind im groben auf drei konkrete Punkte herunterzubrechen. Die Ausdrucksweise und Verwendung von Begrifflichkeiten, der antimuslimisch-rassistische Unterton und die Ungleichbehandlung von Situationen.
Punkt 1 Die Ausdrucksweise: Kann mir jemand der hier anwesenden erklären was die in den Zeilen 55 & 56 angeführten islamischen Regionen sind? Gilt der Moscheevorplatz in der Dortmunder Nordstadt als islamische Region? Denn eine geografische oder politisch einzuordnende Region ist das nicht. Oder, und das ist mein Eindruck, wird hier eine klare kulturelle Abgrenzung vorgenommen: Dort drüben sind die islamischen Regionen mit den Menschenrechtsverletzungen und den mangelhaften Frauenrechten und wir hier, wir sind ganz anders?
Damit komme ich schon zu Punkt 2, den antimuslimisch-rassistischen Unterton. In dem Moment, wo wir eine solche Abgrenzung vornehmen, uns und unsere Wertevorstellungen darüber einordnen und eine Pauschalisierung vornehmen passiert noch in der Antragsbegründung genau das, was der Änderungsantrag des BuJW zu verhindern versucht. In einer postkolonialen Arroganz stellen wir uns hier hin und bewerten die Menschen in Qatar. Damit meine ich nicht die gerechtfertigte Kritik an der Sklaverei oder den Verstorbenen beim Bau der Infrastruktur. Ich meine die Kritik an dem Wertekompass (Zeile 27ff Begründung) der Menschen, der Bewertung ihrer Auffassung von Zusammenleben und auch Ehe und Sexualität in Qatar und den weiteren „islamischen Regionen“.
Hier sei eingeworfen, dass meine eigene Meinung zu diesen Themen in keiner weise deckungsgleich mit den Gesetzen in Qatar ist. Dennoch ist festzuhalten, dass unsere Auffassung und Wertevorstellungen als Jugendwerk nicht globaler Konsens sind, nicht mal gesamtgesellschaftlicher Konsens in Deutschland. Wir können und müssen uns für mehr dafür einsetzen, dennoch nicht aus einer postkolonialen Selbsterhöhung sondern auf Augenhöhe und im Dialog und nicht durch Boykott.
Und wenn wir das im Blick haben, sind wir beim letzten Punkt, die Ungleichbehandlung.
2006 fand die Fussball WM in Deutschland statt, Korruption und Vetternwirtschaft haben uns unseren Fussball nach Hause geholt. 2010 fand die WM in Südafrika statt, Stadien wurden aus dem nichts hochgezogen, seit der WM verfallen sie weil das Land gar nicht in der Lage ist diese Stadien ausreichend zu nutzen. 2014 fand die WM in Brasilien statt, einem Land in dem Armut und Reichtum so nah beieinander leben wie fast nirgendwo auf der Welt. In dem Gelder in ein Prestige trächtiges Turnier geblasen werden während Kinder auf den Straßen hungern. 2018 fand die WM in Russland statt. Einem Land, das schon vor seinem Angriffskrieg in der Ukraine mit Vorsicht zu betrachten war. Ein Land im dem Die Rechte vom Homosexuellen nicht existieren, Frauen sich Männern klar unterzuordnen haben und weder Meinungs- noch Pressefreiheit existieren. 2026 findet die WM unter anderem in Mexiko statt, einem Land in dem homophobe Fangesänge so alltäglich sind, dass auch diese sogar schon der FIFA aufgefallen sind. Bei keiner dieser WM_Vergaben gab es eine Diskussion oder einen Antrag auf Bundesebene. In dem Moment, wo diese Dinge in Qatar auftreten, einem Land mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung, da sieht die Welt, sehen wir Handlungsbedarf. Der Schutz von Frauenrechten, die Beschneidung von queeren Menschen in ihrer Freiheit sind immer dann gern genutzte Argumente, wenn dadurch rassistische Denkweisen reproduziert werden dürfen. Selbst die Nazis innerhalb und außerhalb unserer Parlamente verwenden den „Schutz unserer deutschen Frauen vor den Migranten“ regelmäßig als Feigenblatt, als Tarnung ihres eigenen rassistisches Denkens.
Der rassistische Unterton des Textes, die fehlerhaften oder pauschalisierenden Formulierungen und die Vereinfachung der Gesamtsituation belegen in erster Linie, dass hier jegliche Sensibilität für Postkolonialismus, antisexistischen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fehlt.
Ich möchte noch einmal betonen, dass ich niemandem hier, weder den Befürworter*innen des Antrag noch der antragsstellenden Gliederung bewusst verletzende, rassistische oder andere gruppenbezogene Feindlichkeiten unterstellen will. Mir könnten beispielweise die qatarischen Gesetze zu Homosexualität nicht fremder sein. Aber, und das ist auch das Ende meiner Gegenrede, ich als weißer, mitteleuropäischer, christlich erzogener, heterosexueller Cis-Mann bin nicht in der Position über die Wertevorstellung und das Leben anderer Menschen zu urteilen. Die Begründung des Antrag ist gespickt mit nicht stichhaltigen oder für uns als Verband nicht relevanten Argumenten, innerhalb der Begründung werden rassistische Denkweisen und Darstellungen manifestiert, die Perspektive aus der der Antrag und auch der Begründung kommen ist eine zutiefst postkoloniale Sicht, aus der auf das Leben der Menschen in Qatar herabgeblickt wird und zu allem Übel ist die Fassung in einfacher Sprache eigentlich nur eine vierzeilige, weil heruntergebrochen, rassistische Beleidigung. Die WM in Qatar ist aus den verschiedensten Gründen zu kritisieren, rassistische Ressentiments zu reproduzieren gehört nicht dazu. Dieser Antrag schlägt jedoch in exakt diese Kerbe, daher bitte ich die gesamte Konferenz diesen Antrag abzulehnen